Moltkestraße (heute Uthmannstraße)
Der Bau einer zweiten evangelischen Kirche war nötig geworden und nicht mehr hinauszuschieben. Um an den hohen Feiertagen allen Mitgliedern der Gemeinde eine Teilnahme am Gottesdienst überhaupt zu ermöglichen, wurde im Vereinshaus ein Nebengottesdienst eingerichtet. Seit 1889 bestand die feste Absicht, eine zweite Kirche zu errichten, nur machte die Wahl eines geeigneten Bauplatzes Qual. Obwohl die Zechenverwaltung darauf aufmerksam machte, daß noch Grubentätigkeit vorhanden sei und der Boden sich noch keineswegs gesetzt habe, entschied die Gemeindevertretung das Grundstück an der Marktstr. / Moltkestr. (heute Uthmannstr.) zu kaufen. Die Kirchenverwaltung stellte Proben auf die Festigkeit des Geländes an, namentlich da, wohin der Turm kommen sollte. Der Befund befriedigte. Als nun die Zechenverwaltung die Zusicherung gab, dass unterhalb des Turmes ein genügend großer Kohlenpfeiler stehen bleiben sollte, schwanden die letzten Bedenken. Ein Grundstück in Größe von 34 * 39 m² wurde zum Preis von 175 Mark pro Rute und einer Gesamtsumme von 419 222,25 Mark von seinem Besitzer, Brinkmann angekauft und für den Bauplatz bestimmt.
Wittener Ortskunde und Ortsgesetze - Stadtsekretair Hassel, Witten 1902; Gerrit Haren: Geschichte der Stadt Witten, Witten 1924
Denkschrift zur Feier der Grundsteinlegung für die evangelische Kirche zu Witten, am 03. November 1889
Der Grundstein für die Gedächtniskirche wurde unter größerer Beteiligung am 03. November 1889 gelegt.
Denkschrift zur Feier der Grundsteinlegung für die evangelische Kirche zu Witten, am 03. November 1889
Die Ausführung des Baues wurde dem Architekten Peter Zindel (* 1841 † 1902) aus Essen, von dem auch die Baupläne stammten und der sich schon durch viele Kirchenbauten hervorgetan hatte, übertragen. Das äußere Vorbild, wonach gebaut wurde, war die Kirche zu Elbing. Die Gemeindevertretung stellte ein Bittgesuch an Seine Majestät den Kaiser und König um Genehmigung zur Benennung der Kirche als "Gedächtniskirche". Am 15. August 1891 war das Richtfest, die Einweihung der Kirche durch den Generalsuperintendenten der Evangelischen Kirche von Westfalen, Dr. Gustav Nebe (* 1835 † 1919) war am 13. Dezember 1892 zusammen mit den Pfarrern der Wittener Gemeinde, Pfarrer Friedrich Adolf König (* 1835 † 1914, Pfarrer in Witten von 1835-1914, seit 1879 Superintendent), Pfarrer Bernhard Leesemann (* 1841 † 1917, Pfarrer in Witten von 1867-1917) und Pfarrer Hermann Kellermann (* 1847 † 1924, Pfarrer in Witten von 1886-1917).
Die Gedächtniskirche ist in ihrer Form nach eine einschiffige gothische Kreuzkirche mit seitlich angefügten Gängen. Die ziemlich stark ansteigende Lage des Bauplatzes in der Längsrichtung der Kirche hat vor dem Turm zu einem terrassenähnlichen Vorplatz mit besonderer Freitreppenanlage geführt, welche die Gesamterscheinung der Kirche nicht unwesentlich in ihrer Wirkung hebt.
Die Ausführung ist in bossiertem Sandbruchstein mit waagerechter Fugendurchführung, Quaderecken und Gewänden und massiven Gewölben auf Sandsteinpfeilern geschehen; das Dach und der Turmhelm sind mit Schiefer eingedeckt.
Die Gesamtlänge der Kirche im äußeren betrug 49,30 m, die Breite am Kreuzschiff 25,10 m, die Höhe von der Terrasse bis zum Hauptgesims 16,35 m, die Turmhöhe 71,50 m; im Inneren war die Höhe vom Fußboden bis zum Vierungsgewölbescheitel 18 m, die Gesamtgrundfläche der Kirche betrug 900 m² und hatte Raum für 1156 feste Sitzplätze, davon 850 Sitze auf das Schiff und 306 Sitze auf die Emporen entfallen, außerdem ist für 200 Personen in den Gängen Platz.
Die Kosten des Baues betrugen 372 863,10 Mark. Am Vorabend der Einweihung der Kirche läuteten die vier Bronzeglocken aus der Wittener Glockengießerei Munte das erste mal. Auf dem Festprogramm zur Feier der Einweihung , steht das Wort aus Psalm 118, das in den Grundakkord dieses Tages recht einstimmen will. "Dies ist der Tag, den der Herr gemacht; laßt uns freuen und fröhlich an ihm sein. O HERR, hilf! O Herr, laß wohlgelingen."
Die Glocken haben am Morgen den Tag eingeläutet. Fahnen und Wimpel wehen um die neue Gedächtniskirche. Es ist schönes Wetter. Kaiserwetter, sagt man damals.
Wittener Ortskunde und Ortsgesetze - Stadtsekretair Hassel, Witten 1902; Gerrit Haren: Geschichte der Stadt Witten, Witten 1924; Karl Hebenstreit: Die Gedächtniskirche zu Witten, Ein Nachruf als Dank - ein Weckruf für uns alle. Witten 1992; Die Gedächtniskirche in Witten. Zur Erinnerung an die Einweihung am 13. Dezember 1892. Witten 1893.
Rechts: Die Orgel von der Fa. Walcker
An Stiftungen für die Gedächtniskirche: Eine Altarbibel mit eigenhändiger Namenszeichnung und Eintragung der Schriftworte: "Das Gedächtnis des Gerechten bleibet im Segen" von Sr. Majestät dem Kaiser und König Wilhelm II (* 1859 † 1941). Eine Kanzelbibel mit eigenhändiger Namenszeichnung und Eintragung des Schriftwortes:" Nun, Herr, weß soll ich mich trösten? Ich hoffe auf Dich" von Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin Auguste Victoria (* 1858 † 1921).
Die drei Chorfenster in der Königlich bayrischen Glasmalerei-Anstalt von Franz Xaver Zettler (* 1841 † 1916) in München hergestellt, mit Darstellung der Bergpredigt, der Kreuzigung und der Auferstehung in den Hauptbildern - und sinnverwandten Nebenbildern.
Eine Kreuzschiffrose mit der Mittelfigur des kreuztragenden Christus, desgleichen mit der Mittelfigur des Auferstandenen Christus.
Das Orgelwerk mit reich ausgeführtem Gehäuse, aus der Orgelbauanstalt der Gebr. Walcker hervorgegangen, mit 36 klingenden Stimmen und 3 Manualen.
Ein Altarbild in Überlebensgröße, den einladenden Heiland dargestellt, nach einem Gemälde von Prof. C. G. Pfannschmidt, gemalt von Frl. Nerenz in Berlin.
Ein Taufstein mit silbener Taufschale - die Taufe Christi im Jordan darstellend.
Die aus einheimischem Gestein mit reichlich Ornament geschmückte Kanzel mit Geländer in kunstvoller Schmiedearbeit.
Kirchenfenster im Längsschiff.
Ein Paar große Kandelabar für den Kirchplatz, die Kronleuchter in Eisenguß und Bronze.
Die Abendmahlsgeräte in Silber, das Altarkruzifix in Silber, vier große Altarleuchter in Silber, reich ziseliert durch A. Künne, Silberwarenfabrik in Altena.
Der Altar aus reichverziertem Sandstein, das Kreuz auf dem Turm und der Hahn vergoldet, die Turmuhr, die Glocken, Geldspenden, usw.
Mit Ausnahme des Gestühls konnte fast die ganze innere Einrichtung und alles, was zum Schmuck der Kirche dient, mit Einschluß der Glocken, aus freiwilligen Gaben hergestellt werden.
Die Gedächtniskirche in Witten. Zur Erinnerung an die Einweihung am 13.12.1892, Witten 1893
Triumphbogen im Chorraum
Die Turmuhr wurde gefertigt von Firma J. F. Weule Bockenem am Harz
J. F. Weule - Verzeichnis über gelieferte Uhren bis Juli 1925
Der Maler Rudolf Schäfer (* 1878 † 1961) fertigte für die Gedächtniskirche 1920 ein Kriegerehrenmal. Es zeigt, am linken Eckpfeiler des Chores angebracht, die Gestalt eines Gewappneten, der leidens- und kampfesmutig die Kriegsfahne hält und den Lindwurm unter die Füße tritt. Darunter ruht, in einer Nische eingelassen, das Gedächtnisbuch mit den Namen der vielen Gefallenen. Das auf Leinwand gemalte Bild wurde beim Einsturz des Gewölbes in der Johanniskirche untergebracht und kehrte erst im Dezember 1926 wieder an seinem alten Platz in der Gedächtniskirche zurück.
Konrad Mack: Rudolf Schäfer - Ein deutscher Maler der Gegenwart 1928, S. 77
Schließung wegen Bergschäden
Nachdem während der Inflationszeit in ganz außergewöhnlich starkem Maße Kohleschürfungen der Zeche Ver. Franziska-Tiefbau unter dem Boden der Stadt Witten stattgefunden hatten, mußte am 24. Juni 1923 die Gedächtniskirche wegen Bergschäden geschloßen werden. Am 23. Juni 1924 stürzte das Gewölbe mit großem Getöse über der Vierung ein, unter sich das schwere Eichengestühl wie Streichhölzer zerbrechend.
Erst zu Anfang 1926 konnte mit dem Wiederaufbau begonnen werden. Man hatte die ganzen Jahre hindurch sorgfältig beobachtet, ob weitere Bewegungen des Bodens an der Kirche bemerkbar seien. Aber schon seit 1925 sind sämtliche Bewegungen zum Stillstand gekommen, was auch im Dezember 1926 durch Abwiegen neu festgestellt wurde, insofern sich herausstellte, dass keinerlei Bewegungen mehr zu beobachten ist seit dem vergangenen Jahr.
Fotos aus: Karl Hebenstreit, Pfarrer i. R. : Die Gedächtniskirche zu Witten - Ein Nachruf als Dank - ein Weckruf für uns alle, Witten 1992
Wiedereinweihung der Gedächtniskirche am 19.12.1926
Foto, Bildflug 1926: © Regionalverband Ruhr, Essen
Beim Neubau ist vor allem die Orgelempore um fast das Doppelte erweitert worden, so dass nun auch große Chöre mit Orchester dort reichlich Platz haben. Ebenso hat die Orgel selbst eine wesentliche Verbesserung erfahren, äußerlich zunächst dadurch, daß die im Krieg zum Opfer gefallenen Prospektpfeifen nun wieder ersetzt sind, und zwar durch Zinkpfeifen; ferner aber die Orgel auch klanglich dadurch verbessert wurde, daß die leicht verstimmte, scharfe Klarinette gegen ein schönes Quintatön umgetauscht und zur Erzielung zarterer und zartester Begleitung vom 2. zum 3. Manual verlegt bzw. in den Schwellkasten eingebaut wurden.
Sodann ist die frühere Gasbeleuchtung in eine elektrische Beleuchtung umgewandelt worden, die auch bis in den Turm hineinreicht. Dabei ist eine moderne, indirekte Beleuchtung für den Chorraum angebracht worden, der nun besonders bei Abendgottesdiensten und abgeblendetem Licht des Langschiffes besonders schön mit seinen herrlichen Bogen und seinen wunderschönen Fenstermaßwerk in die Erscheinung tritt.
Die Malerei an den Wänden und Säulen gibt der Kirche, die früher vorwiegend kahle Farben in Weiß und Grau hatte, nunmehr mit ihren bunten Säulen und farbigen Bogen und ihrem bemalten Steinmaßwerk einen zweifellos wärmeren Ton. Die Verkürzung des Langschiffes durch die Erweiterung der Orgelempore gibt der Kirche einen behaglichen Inneneindruck.
Viele werden wohl den schönen Spruch "Also hat Gott die Welt geliebt" am Triumphbogen vermissen, aber die neuen Farben der Vierung ließen eine andere Lösung nicht zu. Jeder der die Kirche mit ihren neuen Farben sieht, wird sich überzeugen, daß am Trumphbogen das schöne Ornament unentberlich war als Überleitung zum Chorraum. Dafür sind unter den vier Fenstern des Langschiffes vier Kernsprüche unseres Christenglaubens, zum Gedächtnis an die großen Heilstaten Gottes zu Weihnachten, Karfreitag, Ostern und Pfingsten angebracht;
"Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab (Joh. 3, 16), "Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde" (1. Joh. 1, 7), "Halt im Gedächtnis Jesum Christum, der auferstanden ist von den Toten" (2. Tim. 2, 8), "Ich will Euch ein neu Herz und einen neuen Geist in euch geben".
Gemeindebuch der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Witten, Witten 1930; Festschrift zur Wiedereinweihung der Gedächtniskirche, Witten 1926
Der 19. Dezember wird ein Gedenktag in der Geschichte der Wittener Gemeinde bleiben. Nachdem über drei Jahre lang die Gedächtniskirche wegen Bergschäden geschloßen war, dürfen wir nun wieder in das wiederhergestellte und neu geschmückte Gotteshaus am 19. Dezember 1926 einziehen. Unter Festgeläut und Posaunenklängen begab sich der Festzug mit Pfarrer Wilhelm Richter (* 1875 † 1941, Pfarrer in Witten von 1915-1940), Pfarrer Wilhelm Nell (* 1883 † 1976, Pfarrer in Witten von 1914-1930), Pfarrer Hugo Deppe (* 1867 † 1939, Pfarrer in Witten von 1896-1939) und Pfarrer Karl Nelle (Pfarrer in Witten von 1921-1929) von der Johanniskirche zur Gedächtniskirche zum Eröffnungsgottesdienst.
Festschrift zur Wiedereinweihung der Gedächtniskirche in Witten am 19. Dezember 1926; Gemeindebuch der Kirchengemeinde Witten, 1930
Die Zerstörung beim Luftangriff auf die Stadt Witten
Die Gedächniskirche wurde beim zweiten schweren Luftangriff auf die Stadt Witten am 19. März 1945 zerstört, und brannte völlig aus.
Es gab Überlegungen die Kirche wiederaufzubauen. So war am 21. November 1958 in der Zeitung zu lesen: "Gedächtniskirche wird wieder aufgebaut. Das Presbyterium der ev. Kirchengemeinde Witten hat beschlossen, die Kriegsruine der Gedächtniskirche wieder aufzubauen."
WAZ 21.11.1958
Als Ruine gehörte die zerstörte Kirche bis 1967 zum Wittener Stadtbild, und wurde dann zum Ende des Jahres abgetragen. Der Platz der Gedächtniskirche wurde bis Oktober 2000 für den Wittener Wochenmarkt genutzt, und auch die Wittener Kirmes war hier lange Zeit zuhause. Heute wird der Platz nur noch als Parkplatz genutzt.
Foto rechts: Abbruch der Ruine 1967, Ruhr-Nachrichten
An die Gedächtniskirche erinnert heute nur noch wenig.
Es sind noch vorhanden
Der Taufstein von1892 stand nach der Zerstörung der Kirche im Gemeindehaus Augustastraße. Als das Haus im Jahre 1999 verkauft wurde, hat der Taufstein einen neuen Platz gefunden im Eingangsbereich der Wittener Johanniskirche.
Die Altarbibel von Kaiserin Auguste Viktoria (* 1858 † 1921), sowie das Altarkreuz mit zwei Leuchtern, eine Abendmahlskanne, eine Taufschale, ein Abendmahlskelch, eine Hostiendose und ein Hostienteller. Alles noch von den Stiftungen zur Einweihung der Gedächtniskirche erhalten.
Eine Turmrose der Gedächtniskirche. Sie wurde beim Abbruch der Ruine im Jahre 1967 gerettet, und steht heute an der Wittener Christuskirche.
Das Kreuz vom Dachreiter der Gedächniskirche ist heute auf dem 1954 errichteten Martin-Luther-Haus in Witten.
Ein Zeigerpaar der Turmuhr der Gedächtniskirche ist heute an der Trauerhalle auf dem ev. Friedhof Pferdebachstraße.
Der Name "Platz der Gedächtniskirche" (der Platz wurde am 9. August 1967 benannt).
Diese Seite wurde erstellt am 01.12.2004 und zuletzt aktualisiert am: Montag, 23.06.2014